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Pfarrer Kossen begann seinen Vortrag mit der Frage: „Wo gibt es in Deutschland Arbeit, die nicht menschenwürdig ist und was können wir als Gesellschaft und als Einzelne tun?“

Im nordwestdeutschen Raum und im nordrheinwestfälischen Grenzgebiet zu den Niederlanden stellen die Behörden immer wieder fest, dass sogenannte Leiharbeiter in menschenunwürdigen Unterkünften leben und unter ausbeuterischen Bedingungen ihre Arbeit verrichten müssen. Bei Razzien wurde festgestellt, dass die Menschen in verschimmelten Mehrbettzimmern untergebracht wurden. Dabei werden die Betten häufig im „Schichtbetrieb“ zu horrenden Preisen (300 € bis 400 € pro Monat) vermietet. Brandschutz und andere Sicherheitsaspekte wurden nicht beachtet. Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Es gibt in diesem Zusammenhang eindeutige Belege, dass z.B. Unternehmen der Fleischbranche auch durch eigene, neu gegründete Immobilienfirmen an der Vermietung an Leiharbeiter beteiligt waren. So konnten zusätzlich satte Gewinne erwirtschaftet werden. Zudem konnten die Unternehmen durch eine „geschickte“ Buchführung, Werkvertragsarbeiter konnten als „Sachkosten“ deklariert werden, von der EEG-Umlage befreit werden.

Pfarrer Kossen hat über seinen Bruder, praktizierender Arzt, Informationen, dass z.B. ein Arbeiter in einem Putenschlachthof für zwölf Stunden pro Tag sechs Tage die Woche monatlich 1400 € verdient. Damit bekommt er einen Stundenlohn von gerade einmal 5 €. Der Mindestlohn in Deutschland liegt derzeit bei 13,60 €. Diese Arbeitsbelastung führt langfristig auch zu physischen und psychischen Problemen. Es entwickeln sich chronische Leiden. Hält jemand diesem Druck nicht stand, wird er entsprechend „ausgetauscht“. Die Arbeitskräfte kommen inzwischen aus immer ärmeren Regionen Osteuropas. Der Einsatz ist dabei oft illegal. Die massive Arbeitsbelastung ermöglicht den Betroffenen kaum eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in den Wohnorten. Eine Teilnahme an Sprachkursen, die eine Integration fördert, ist kaum möglich. Zudem leben die meisten Arbeiter abgeschottet und in einer Parallelwelt am Rand der Gesellschaft. In den Wohnorten wird weggeschaut, die Arbeitsmigranten werden häufig nicht als gleichwertige Mitbürger wahrgenommen. Hinter all diesen Gegebenheiten steckt auch ein latenter, manchmal auch offener Rassismus. Dieser Rassismus beginnt bereits mit der Wortwahl. So wird häufig einfach von „den Bulgaren“ oder „der Polin“ gesprochen. Dabei hat doch jeder Mensch einen Namen. Ebenso wird in Gesprächen zum geringen Lohn häufig argumentiert, dass das Lohnniveau im Herkunftsland geringer sei als der in Deutschland gezahlte geringe Lohn. Dabei sollte doch gelten: Gleiches Geld für gleiche Arbeit bzw. gute Arbeit muss auch gut bezahlt werden.

Die beschriebenen Missstände werden leider auch dadurch ermöglicht, dass die Möglichkeiten des Rechtsstaats geschickt ausgehebelt werden. Es braucht eine Behörde, die Recht und Gesetz durchsetzen kann. Die bisherigen Kontrollbehörden sind hier oft machtlos. Zudem wird auch in der Lokalpolitik, aber auch in der Kirche, weggeschaut. Steuereinnahmen für den Haushalt sind im Zweifel wichtiger als moralische Wertvorstellungen. Gerade hier müsste sich die Kirche bekennen – denn eine Kirche, die schweigt, verkauft ihre Seele.

Was ist also zu tun, damit Arbeitsmigranten vor Ausbeutung geschützt werden?

Zu aller erst müssen sie eine realistische Möglichkeit bekommen, Deutsch zu lernen.

Weiterhin muss klar sein:

Es muss gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort gezahlt werden.

Unfallschutz und Krankenversicherung muss hier, also in Deutschland, geregelt werden.

Es muss eine ortsnahe, unabhängige, kostenlose muttersprachliche Rechtsberatung eingerichtet werden.

Es müssen Behörden geschaffen werden, die Gesetze durchsetzen und kriminelle Strukturen auflösen.

Es muss adäquater Wohnraum zur Verfügung stehen.

Die Unternehmen müssen wieder zu einer Stammbelegschaft zurückkehren.

Es bleibt die Frage, wie lange kann bzw. darf eine Gesellschaft wegschauen. Papst Franziskus sagt dazu: „Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann.“ Eine Gesellschaft, die solches zulässt, zerstört das Leben dieser Menschen und letztendlich auch sich selbst. Es braucht mehr Solidarität und das Bewusstsein, für die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen. Ansonsten verliert sie ihre Kultur.